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Mit Kunst leben - was mich prägt

Gemälde meiner Grosstante Christel Wüst, 
die 1921 in Stettin, heute polnisch Szczecin in Westpommern nahe der Ostsee, 125 km nordöstlich von Berlin, geboren wurde. 
Aufgewachsen ist sie überwiegend in Berlin, nach dem Krieg zog sie wegen des Studiums mit ihren Eltern, mit denen sie Zeit Ihres Lebens lebte, nach Krefeld. 

Christel studierte nach dem Krieg Kunst in Paris und Krefeld, war in der Zeit um 1950 einige Jahre Schülerin bei Georg Muche, der damals die neueingerichtete „Meisterklasse für Textilkunst“ der Höheren Fachschule Textilkunst in Krefeld leitete. Zeit ihres Lebens blieb sie mit ihm in Kontakt.
Ganz in Bauhaus-Tradition waren die Frauen für die Textilien zuständig, so entwarf auch meine Grosstante nach ihrem Studium erfolgreich Krawatten- und Schirmstoffe für die ehemalige Verseidag, die Vereinigten Seidenwebereien Krefeld, die heute in dieser Form nicht mehr existieren. Krefeld strahlte damals durch die Mies van der Rohe-Bauten, so war auch das ehemalige Hauptgebäude der Verseidag von ihm entworfen.
Meine Grosstante, mit der er ich im Vor-Email-Zeitalter einen regen Briefwechsel über Kunst, Kultur, Bücher, Reisen und Gott und die Welt, führte, prägte mein künstlerisches Verständnis erheblich; ihre lebensfrohe, offene und überaus interessierte Geisteshaltung gab mir den Glauben an Kunst und Kultur, an die Leidenschaft für’s „Unnütze“; ihr stets grosses, liebevolles Herz - es war durch Krieg und Entbehrungen nicht bitter geworden - gab mir den Glauben an das Gute in allem.
Ihre von Büchern, Bildern und diversen Kleinigkeiten überquellenden Regale begeisterten mich Zeit ihres Lebens, ich liebte die kleinen Dinge wie die große Literatur, die sich darin verbarg. 
Die Wertschätzung.
Wir teilten manche besondere Opern- und Theater-Aufführung („Cabaret“ inszeniert von Jerôme Savary mit Ute Lemper im Schauspielhaus Düsseldorf 1986, „Die Zauberflöte“ in der Inszenierung von Roland Topor im Aalto-Theater in Essen 1990), die sie auch noch im Alter durch die Theatergemeinde wahrnahm. Sie arbeitete bis zuletzt im Museum Haus Esters/Haus Lange ehrenamtlich sowie für das Textilmuseum Krefeld an einer Chronik der Verseidag.
2014 verstarb sie hochbetagt, freundlich lächelnd, interessiert an ihrer Umgebung und mir bis zuletzt.
Sie vererbte mir eine Zeichenmappe mit Bildern und eine Kiste mit Fotos. 
Das, was für mich wichtig war. Das, was wir teilten. 


Ein Schatz, den ich heute endlich zu boesner Köln, dem wunderbarsten Fachgeschäft für Künstlermaterialien, aber auch für Einrahmungen und schöne Sinneseindrücke, brachte.
Als ich dort die alte Sammel-Mappe öffnete, erschloss sich der überaus versierten Mitarbeiterin Regine (leider habe ich den Nachnamen vergessen) und mir noch einmal ein Kosmos an Kreativität und künstlerischem Schaffen.
Ich hatte drei pastellige Köpfe ausgewählt, die ich endlich rahmen lassen wollte sowie einen großen farbigen Frauenkopf. Außerdem eine kleine intensiv-pastellige Landschaft, die in ihrer Intensität jeden Raum erstrahlen lässt.

Wir verbrachten intensive, aber zielsichere Stunden für die Auswahl der Papiere und Rahmen - im Anschluss bin ich glücklich, dankbar und in Vorfreude auf diese Bilder, im Memoriam Tante Christel, nachhause gefahren.
Welch’ ein Glück, durch solch’ einen Menschen begleitet zu werden und wachsen zu dürfen!

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